Es gibt hier bereits Beiträge über Diesel, meinen ersten Hund – und Tim und Mirza.
Der Beitrag über Diesel ist vom Januar 2020. Im März 2020 hat er uns verlassen.

Damals war mir das Thema Angst-Hund noch gar nicht so bewusst. Daher werde ich hier noch mal kurz darauf eingehen. Denn ich habe in den letzten Jahren sehr viel dazu lernen dürfen.
Diesel war im Grunde der Erste. Er fand Menschen doof, er fand andere Hunde doof. Und er gehörte nicht zu denen, die sich versteckten. Mit ihm ging ich in eine klassische Hundeschule. Dort habe ich das Übliche gelernt: Leinenruck, Aussperren, Ignorieren, Loben, nicht im Weg liegen lassen, nicht aufs Sofa.
Meine Mutter – die von Hunden wirklich keinen Schimmer hatte, aber von Pädagogik – war die Erste, die mich damals fragte, ob ich noch ganz richtig im Kopf sei. Und wie ich ein Lebewesen, daß mich liebt und mir vertraut, so behandeln könne?! Ich wollte alles richtig machen. Und ich sollte mich von den Kulleraugen ja auch nicht beeinflussen lassen. Heute frage ich mich, warum eigentlich nicht? Wovor haben wir denn solche Angst? Das Hunde die Weltherrschaft übernehmen? Das wir die Kontrolle verlieren??
Dann kam Tim. 2014. Er hatte drei Jahre in einem Käfig auf einem Bauernhof überlebt und ein Jahr im Tierheim. Er lief nicht. Die Tierheim – Mitarbeiter trugen ihn ins Büro und legten ihn mir vor die Füsse (Bild links).


Ich habe ihn bei uns erst einmal in Ruhe gelassen und mir dann einen renommierten Trainer gesucht. Tim kam sehr gut mit Diesel zurecht und lernet viel von ihm. Im Training sollte Diesel nicht dabei sein. Ich hab das nicht verstanden, weil Diesel ihm viel besser helfen konnte als ein Mensch. Aber das waren die neusten Trainingsmethoden. Und das war es: es waren Methoden, Techniken. Ich habe am Ende 450,-€ in den Sand gesetzt weil ich ein 10er Abo hatte, aber nach dem zweiten mal nicht mehr hin gegangen bin. Die Trainerin hat mich dafür nachhaltig gehasst.
Aber es ergab für mich keinen Sinn. Tim sollte auf Anreize reagieren. Und so seine Scheu verlieren. Das konnte er gar nicht. Er hatte von der ganzen Welt da draussen gar keine Ahnung und war völlig überfordert. Sein Gehirn war gar nicht in der Lage, all das zu verarbeiten. Er war im Panik-Modus.
Nach einem halben Jahr nahm ich Tim und Diesel und wir gingen für eine Woche in den Pyrenäen wandern, mit Zelt und Rucksack. Nur wir drei. Das hat wahre Wunder bewirkt. In unserer Beziehung. Und für Tim. So langsam wurde lernen für ihn möglich.
Ich habe dann beschlossen eine Ausbildung zur Hundeverhaltens-Trainerin zu machen. Das war auch wieder eine Challenge für sich. Weil ich dort erstmal genau den Mist lernte, den ich eigentlich gar nicht anwenden wollte. Wir mussten mit Ketten-Zug-Halsbändern arbeiten. Am Unterarm wurde uns demonstriert, das diese Halsbänder gar nicht weh tun würden.
Wenn Tim Angst bekam, habe ich ihm eine Hand gegeben. Das wurde unterbunden. Angst muß ignoriert werden.
Größter BULLSHIT ever!!!! Ein soziales Wesen verspürt Angst. Ja, ich kann es schlimmer machen, in dem ich mich in die gleiche Energie begebe und mitleide. Ich kann es aber auch besser machen, in dem ich dem Tier signalisiere: es ist alles ok, ich bin bei dir, ich führe dich hier durch. Ignorieren ist etwas anderes, es bedeutet: ich lass dich alleine.
Wenn Hunde wie kleine Kinder sind – und laut Wissenschaft sind sie das – wer würde sein Kind mit Angst alleine im Dunkeln sitzen lassen, die Tür schließen und ihm sagen: wird schon. Jean Jacque Rousseau. Ja, der vielleicht. Aber das war im 18. Jahrhundert. Heute tut das sicher auch noch der ein oder andere. Aber das Jugendamt und die moderne Pädagogik hätten etwas dagegen. Und zwar zurecht.
Das Problem ist, daß wir Tiere immer noch nicht als selbständig denkende und fühlende Wesen ansehen. „Vermenschlichen“ ist tabu! Wir bewegen uns mit all unseren Methoden und Techniken auf dem Stand von René Descartes im 17. Jahrhundert. Der hat Hunde lebend an Holztüren genagelt und aufgeschlitzt um zu beweisen, daß alles nur Reflex und Instinkt ist. Und so trainieren wir unsere Hunde. Nicht auf Augenhöhe, sondern als würden sie nur auf Reize reagieren. Pawlows Glocke. Klingt ein bisschen wie Schillers Glocke, ist aber nicht ganz so schillernd. Seine Erkenntnisse sind weniger grausam als die von Descartes und Rousseau, aber wir reduzieren unsere Haustiere dadurch gerne auf das Minimum von Aktion und Reaktion. Wir halten sie schlicht für blöd und wir halten sie blöd.
Aber wie gehe ich nun mit einem Hund um, der Angst hat. Wirklich Angst, vielleicht ein Traumata. Wir sind in der Trauma Forschung beim Menschen noch nicht sonderlich weit. Was wissen wir da schon über Tiere?! Erschreckend viel, weil sie uns sehr ähnlich sind. Aber das ist unbequem.
Tiere werden einfach ausgetauscht, wenn sie nicht mehr funktionieren. Ein traumatisierter Hund befindet sich in dem Zustand eines traumatisierten vierjährigen Kindes. Ich frage mich, ob man mit einem Kind so umgeht, wie mit einem Hund?!
Es gibt diese alte Methode, von der sich auch die menschliche Therapie langsam abwendet, daß man einen Patienten in sein Trauma zurück schickt und es ihn noch mal durchleben lässt, damit er versteht, daß ihm nichts passiert. Also jemand der Angst vor Wasser hat, wird ins Wasser geschickt, um dort dann fest zu stellen, daß ihm nichts geschieht. Das Problem dabei: das Gehirn verfällt ihn den Panik-Modus und lernt gar nichts mehr. Wieso soll das bei einem Tier funktionieren? Ein Säugetier ist im Bereich Nerven und Gehirn genau so aufgebaut wie der Mensch. Dieses Wissen verdanken wir übrigens den netten Versuchen von Descartes. Dank ihm wissen wir, daß Hund und Mensch den gleichen Aufbau haben. Wieso soll der Hund also anders funktionieren??
Heute arbeite ich fast ausschließlich mit Angsthunden. Ja, das dauert manchmal ein bisschen. Und kann etwas mühsam sein. Es sind Straßenhunde und Haushunde mit ganz unterschiedlichen Geschichten. Aber es lohnt sich, jeder einzige. Ich darf von jedem etwas lernen. Über mich und über Hunde und Menschen.
Ich werde in den kommenden Tagen auf weitere Erkenntnisse und Methoden zu dem Thema Angst bei Tieren eingehen.