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Archiv für den Monat August 2022

Der Hund und das Auto

Aktuell betreue ich eine Klientin, deren Hund sehr ungern, bzw. gar nicht, in das Auto einsteigen möchte.

Da wir mit dem Training sehr gute Fortschritte machen, werde ich die Umstände nutzen und ein bisschen über meine Erfahrungen berichten, Fakten, Umstände und Anekdoten.

Warum wird Hunden im Auto oft übel?

Das hat mit der Wahrnehmung zu tun. Ähnlich wie wenn wir auf einem Schiff stehen. Wir können sehen, daß sich alles bewegt. Wir fühlen, daß sich alles bewegt. Unser Innenohr, zuständig für unseren Gleichgewichtssinn, reagiert auf die Bewegung. Das Problem dabei ist, wir bewegen uns nicht. Unser Körper steht still.

Genau so geht es dem Hund. Er nimmt die Bewegung wahr, bewegt sich selber aber nicht. Das ist für das Nervensystem extrem verwirrend und der Körper reagiert mit Übelkeit.

Ideal ist es, wenn der Hund einsteigt, sich hin legt und schläft.

Natürlich gibt es immer Hunde, die gar kein Problem mit dem Autofahren haben und denen es sogar Spaß macht. Sollte dein Hund aber zu Übelkeit neigen, ist das eine völlig normale Reaktion des Körpers und keine böse Absicht.

Kalisto

Kali ist ein kleiner Straßenhund aus Rumänien. Zu Beginn fand er Autofahren ganz schrecklich. Sobald er im Auto war, wurde ihm übel, er fing an zu speicheln und es dauerte nicht lange und er erbrach sich mehrfach. Mit viel Geduld und regelmäßigem Fahren haben wir das einigermaßen in den Griff bekommen.

Das Interessante daran ist für mich, daß Kali alleine einsteigt. Wenn die Heckklappe auf ist, hüpft er ins Auto. Ich muß ihn nicht drängeln oder ziehen und rein heben. Er steigt freiwillig von ganz alleine ein. Obwohl ihm immer noch übel wird.

Also scheint die Übelkeit kein Hindernis für ihn zu sein, nicht mit fahren zu wollen.

Warum man den (ängstlichen) Hund nicht ins Auto heben sollte.

Wenn irgend möglich, sollte der Hund von alleine einsteigen können. Heute gibt es zahlreiche Rampen und Treppen, die jedem Hund bei fast jedem Auto das Einsteigen erleichtern. Warum das so wichtig ist?

Gerade wenn ein Hund das Auto nicht so sehr schätzt, ist es wichtig, daß er Vertrauen gewinnt. Er wird aber kein Vertrauen aufbauen, wenn man seine Grenzen nicht respektiert.

Man stelle sich vor, man hat vor etwas wirklich Angst, zum Beispiel Spinnen. Und dann kommt jemand, nimmt die Hand und zerrt einen zu einer dicken fetten Spinne. Wie würden wir uns fühlen? Was würden wir über diese Person denken? Wir wären vermutlich not very amused.

Das gilt auch für den Hund. Ein Hund wird in seiner Natur nie-nicht hochgehoben. Außer als Welpe von Mama. Danach nie wieder. Er steht auf seinen vier Pfoten, ist geerdet, läuft alleine durch die Welt. Und jetzt kommt da einer, der ihn einfach packt, hochhebt und gegen seinen Willen in das Auto stopft. Manche Hunde erdulden das. Andere Hunde bekommen Angst und schnappen. Und wieder andere finden das total lustig. Aber um die geht es hier gerade nicht. Es geht um die, die das völlig zu Recht überhaupt nicht lustig finden.

Es ist für den Hund eine völlig andere Erfahrung, wenn er die Wahl hat und selbständig einsteigen kann. Freiwillig, weil er es kann, weil er es möchte. Natürlich steht am Ende die Idee, daß der Hund einsteigen soll. Man will ja irgendwo hin. In den Park, ans Meer oder zum Tierarzt. Aber einem ängstlichen Hund hilft man viel mehr, wenn man zu Beginn Zeit investiert und ihm zeigt, wie er das alleine schaffen kann. Zu dem Wie später mehr.

Warum ein gutes Training sinnvoller ist als Beruhigungspillen.

Inzwischen gibt es allerlei Medikamente und Präparate um den Hund ruhig zu stellen. Von Bachblüten bis hin zu richtig starken Sedativen. Bachblüten finde ich völlig in Ordnung. Ich habe allerdings noch nie erlebt, daß die wirklich etwas genutzt haben. Bei meinen Hunden zumindest nicht.

Sedative lehne ich in der Regel ab. Warum? Weil es so eine Art K.O.-Tropfen für Hunde sind. Man stelle sich vor, man kommt in eine Situation, in der man Angst hat. Und dann kann man sich nicht wehren. Ein ängstlicher Hund wird immer versuchen, die Kontrolle zu behalten. Wenn ich den jetzt mit Gewalt ruhig stelle, bzw handlungsunfähig mache, wird er mit aller Kraft versuchen dagegen anzukämpfen.

Das kann richtig böse nach hinten los gehen. Der Hund ist noch gestresster als er es ohnehin schon wäre. Der Hund fängt an unkoordiniert zu schnappen. Schlimmstenfalls gibt es einen Kreislaufzusammenbruch.

Ja, im absoluten Notfall haben wir manchmal keine andere Wahl. Aber solange wir die Zeit und die Möglichkeit für ein gutes Training haben, sollten wir Medikamente nur als Notfall-Lösung betrachten und nicht als einfach Lösung, die für uns am bequemsten ist.

Dein Hund wird es dir danken.

Tim

Tim ist ein Border Collie aus dem Tierheim. Er hat vier Jahre in einem Käfig gelebt. Als er zu mir kam, wusste er nichts von der Welt und dem Leben da draussen. Er musste alles lernen, dazu kam eine panische Angst vor allem und jedem.

Das Autofahren war jetzt auch nicht so seins, aber er hat sich extrem schnell daran gewöhnt. Auch er steigt von alleine ein.

Und er hat sehr schnell begriffen, daß das Auto sein Schutzraum ist, sein Panic-room.

Er hat es zu Beginn immer wieder geschafft, sich aus diversen Geschirren zu befreien. oder er bekam einfach Panik und rannte los. Das Beeindruckende für mich war, daß er immer zurück zum Auto geflüchtet ist und sich dann unter dem Auto versteckt hat. Dort hat er gewartet, bis wir kamen und ihn rein gelassen haben.

Wenn er draussen in der Welt mit etwas überfordert ist, versteckt er sich in seinem Auto.

Wie baue ich das Auto-Training auf?

Es ist weniger ein Training, sondern mehr ein Lehrstück. Ich möchte das der Hund lernt, daß er alleine in das Auto einsteigen kann.

Es ist ein bisschen so, wie mit einem Kind am Beckenrand vom Pool. Der Erwachsene steht im Pool und das Kind soll springen, der Erwachsene wird das Kind auffangen. Das Kind hat völlig natürlich Bedenken. Jetzt kann man Druck machen, das Kind erpressen, bedrohen, schubsen. Wir alle wissen, daß das nicht viel bringen würde. Das Kind würde jegliches Vertrauen verlieren.

Wie bei der Spinne.

Wenn wir uns im Vorfeld die Zeit genommen haben, um Vertrauen aufzubauen, dann wird das Kind vielleicht noch zögern, weil es sich überwinden muß. Aber wenn es dann gesprungen ist, wird es sich super gut fühlen, es wird stolz sein und es gleich noch einmal probieren wollen. Am Ende ersparen wir uns und dem Kind viel Zeit und Drama.

Was bedeutet das für den Hund? Es ist ganz wichtig, im Vorfeld Vertrauen aufzubauen. Das bedeutet, die Hundesprache zu verstehen. Dem Hund zuzuhören, ihn wahr zu nehmen und auf seine Grenzen zu achten. Ich will am Beispiel von Soda (mein aktueller Fall) erklären, wie wir bis jetzt vorgegangen sind.

Sodas Frau ist sehr hundeerfahren. Sie hat bereits alles probiert. Mit Leckerchen (ist blöd wenn dem Hund übel wird). Sie hat viel Zeit und Geduld aufgebracht, dem Hund das Auto schön zu reden, alle bekannten Methoden angewandt, gewartet, geübt. Sie hat ihn aber jedes mal zum Auto gezerrt, hochgehoben und rein gesetzt. Das war für sie, wie auch für den Hund, extrem stressig. Soda ist nicht gerade klein und wiegt ca 30 kg.

Was mache ich jetzt anders? Im Idealfall haben wir richtig viel Zeit, also der Hund muß in den kommenden Wochen nirgendwo hin fahren. Bei Soda ist das zum Glück so. Also beginnen wir mit der Beziehung zwischen Soda und seiner Frau. Entspannungsübungen. Nicht reden, nicht anfassen, nicht beruhigen. Wir gehen mit Soda los, Richtung Auto und passen ganz genau auf, wann er die ersten Stressreaktionen zeigt. Und da machen wir halt, wir gehen keinen Schritt weiter. Wenn Soda sich entspannt, können wir weiter gehen. So schaffen wir es Stück für Stück bis zum Auto. Das wird so lange geübt, bis Soda entspannt bis zum Auto gehen kann.

Hier beginnen wir dann von vorne, mit offenen Autotüren. Er bekommt die Richtung gezeigt. Das aller wichtigste ist, daß er selbst die Entscheidung treffen kann und sich von alleine, freiwillig, in das Auto bewegen kann. Dann kann er lernen, dann kann er verstehen, daß er selbst ein- und auch wieder aussteigen kann und darf.

Ja, das braucht zu Beginn etwas Zeit und regelmäßiges Üben. Aber wir haben es heute, bei unserem zweiten Termin, nach einer Woche regelmäßigem Üben, geschafft, daß er alleine eingestiegen ist.

Soda ist ein Straßenhund aus Albanien, ca 5 Jahre alt und seit einem Jahr bei seiner Familie. Und er ist nach einer Woche Training heute einfach eingestiegen. Ohne Stress. Das Training braucht Zeit, aber wenn man überlegt, daß der Hund danach nie wieder mit viel Streß eingeladen werden muß, ist es das wert.

Und nach Aussage der Frau, hat sich ihr gesamtes Zusammenleben verbessert, Soda ist ruhiger und entspannter geworden und verbringt inzwischen viel mehr Zeit mit seinen Menschen. Weil er ganz nebenbei gelernt hat, daß seine Menschen ihm zuhören, seine Sprache verstehen und seine Grenzen respektieren. Trotzdem hat man ihn gebeten, sich zu überwinden und einzusteigen. Und er war wirklich verdammt stolz am Ende.

Diesel

Zum Abschluss noch eine Geschichte von Diesel, meinem ersten Hund. Diesel hat Autos gehasst.

Ihm wurde regelmäßig übel. Er begann schon zu würgen, wenn wir auf das Auto zugingen. Ich habe auch so ziemlich alles probiert. Nichts half. Boxen, abgedunkelte Fenster, völlig egal. Das ging so weit, daß er bei einem Spaziergang durch die Stadt die Straßenseite wechselte, wenn wir an dem gleichen Modell vorbei kamen.

Nun war ich aber sehr viel mit dem Auto unterwegs. Auch auf Reisen. Er musste jetzt also mit mir in dem Auto wohnen. Und das hat irgendwie den Schalter umgelegt. Wir fuhren, schliefen, aßen, lebten in dem Auto.

Und dann hat er das Auto geliebt (dieses eine, in anderen Autos wurde ihm immer noch übel). Wenn er Angst hatte, weil zum Beispiel ein Gewitter aufzog, wollte er in sein Auto. Er ist fremden Autos der gleichen Marke hinterher gerannt, weil er dachte, es sei unser Auto (ich vermute es war das Motorengeräusch).

Ja, und am Ende hat er sogar in seinem Auto für immer die Augen geschlossen.

 
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Verfasst von - 04/08/2022 in Coaching

 

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