Grenzen, Teil 2
Vor allem im Umgang mit Tieren herrscht noch immer das alte Konzept vor, das viel auf Druck und sogenannter Dominanz basiert.
Du musst dem Hund mal zeigen wer der Chef ist, das du das Alpha-Tier bist. Ich Chef – du nix.
Das kann ziemlich komische Ausmaße annehmen.
Ich habe von Leuten gelesen, die ihren Urin über den des Hundes kippen.
So ganz langsam wendet sich das Blatt und viele Menschen beginnen, Tiere mit anderen Augen zu sehen. Auch unsere eigenen Haustiere.
Allerdings sind wir selbst bereits konditioniert und auch unsere Lehr-Methoden sind konditioniert. Oftmals denken wir gar nicht darüber nach, wenn wir Kinder oder Tiere so oder so behandeln.
In unserer Gesellschaft herrscht noch immer ein heftiger Leistungsdruck. Wer Leistung bringt, ist etwas wert. Dazu gehört Gehorsam wie auch Kooperation und Anpassung.
Anpassen = Lieb, Widersetzten = Böse
Wer sich anpasst und liefert, der kommt weiter oder wird anerkannt. Dieses Prinzip lernen wir schon im Kindergarten, dann in der Schule, Ausbildung, Beruf.
Also ist es wenig verwunderlich, wenn wir es genau so weiter führen.
Wer sich widersetzt, der fällt unangenehm auf. Der Rebell oder Revoluzzer. Die passen sich nicht an, stiften Unruhe, sind selten Systemrelevant. Sie werden von der Gesellschaft abgelehnt.
Nun haben wir einen Hund. Und ich rede jetzt schwerpunktmäßig vom Familienhund, denn für Arbeitshunde gelten etwas andere Regeln.
Der Hund soll uns Freude bereiten, uns anhimmeln, aufmuntern, Spaß machen. Er soll auffallen durch gutes Benehmen, gehorsam, schöne Optik. Auf jeden Fall möchte der Besitzer glänzen, er möchte mit dem Hund entspannen und dort nicht auch noch eine Baustelle haben, die nicht funktioniert.
So läuft das aber nicht immer. Zum einen neigen viele Menschen dazu, sich Rasse-Hunde zuzulegen – weil die sind teuer, schön, zertifiziert, klug, schnell… also eher Statussymbol. Aber diese Rassen wurden zur Arbeit gezüchtet und wenn sie dieser nicht nach gehen können, sind die ersten Probleme schon vorprogrammiert.
Zum anderen adoptieren viele Menschen Hunde aus dem Tierschutz, die schon eine Vorgeschichte haben.
Nun neigt der Mensch gern dazu, das Verhalten des Hundes subjektiv zu erklären und zu bewerten: der Hund testet Grenzen. Ich habe es bereits gesagt: der Hund testet keine Grenzen. Dazu müssten ihm diese Grenzen bewusst sein. Der Hund versucht auf seine Weise zu kommunizieren.
Tiere haben Gefühle
Wenn wir jetzt das Gefühl haben, das der Hund „verhaltensauffällig“ wird, dann betrachten wir dieses Verhalten in einem negativen Licht: das Verhalten des Hundes wird als schlecht bewertet. Der Hund fällt auf, negativ.
Es wird gerne versucht, das Verhalten zu beeinflussen und umzukehren – mit „positiven“ Methoden. Man trainiert so lange an dem Hund rum, bis das störende Verhalten nicht mehr auftritt. Symptombekämpfung statt Ursachenforschung.
Hat hier irgendjemand gefragt, warum der Hund sich so verhält? Nein.
Wann verhalten wir uns denn „schlecht“? In der Regel, wenn uns etwas stört. Dahinter liegt ein Gefühl.
Ein Gefühl wie Ohnmacht, Wut, Angst, Unsicherheit, Überforderung. Und was passiert, wenn unser Gefühl nicht ernst genommen wird, wenn es keinerlei Beachtung findet? Depressionen, Burn-out, Wutanfälle, Krankheit.
Und wieso soll das bei einem anderen Säugetier als dem Menschen anders ablaufen???
Wenn uns Hunde Grenzen zeigen, dann ist das eine Form der Kommunikation.
Sie zeigen ein Verhalten, hinter dem ein Gefühl steckt. Und es ist nicht hilfreich, dieses Gefühl zu ignorieren. Weder beim Mensch noch beim Tier.
Der Hund, der keine Grenzen setzt
Tiere die nicht gelernt haben, ihre Grenzen zu zeigen oder die zu schüchtern sind, die werden sehr gerne überrannt. Sie gelten als lieb und brav und süss. Sie fallen nicht unangenehm auf, machen wenig Probleme. Anstatt mal ordentlich die Zähne zu zeigen wenn ihnen jemand ungefragt ins Gesicht grabscht, klemmen sie nur schüchtern den Schwanz ein. Das wird dann auch noch als „süss“ empfunden und weckt allemal etwas Mitgefühl. Aber im Gegensatz zum Hund der Zähne zeigt, wenn er nicht angefasst werden will, wird hier nach Herzenslust das eigen Bedürfnis nach Hund-knuddeln befriedigt. Egal wie sich der Hund dabei fühlt.
Dann kommt es auch beim Hund irgendwann zu chronischen Krankheiten wie Krebs, Magengeschwüren, Allergien, Depressionen.
Oder der Hund flippt irgendwann aus und beisst zu. Weil er die Situation nicht mehr aushält.
Das ist exakt das gleiche Prinzip wie beim Säugetier Mensch.
Respekt fängt beim zuhören an! Wenn dein Hund sich auffällig verhält, dann möchte er dir etwas mitteilen. Wenn dein Hund dir etwas mitteilen möchte, dann höre ihm zu.
Wenn du ihn nicht verstehst, dann nimm dir Hilfe. Wenn du nicht weißt, wie du sein Problem beheben kannst, dann nimm dir Hilfe.
Aber bitte, schreib ihn nicht ab als „verhaltensauffällig“ oder „verhaltensgestört“ oder „dominant“.
Diese Bewertungen sind zutiefst negativ. Ein Hund ist ein hoch soziales und intelligentes Lebewesen, daß als Familienhund von uns vollkommen abhängig ist.
Und da bricht sich niemand einen Zacken aus der Schöpfungskrone, wenn er/sie sich mal auf Augenhöhe zum Hund begibt.
