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Mirza und die Leine

23 Jan
Mirza und die Leine

Vor wenigen Tagen habe ich einen weiteren traumatisierten Strassenhund aufgenommen: Mirza. Sie war in einer anderen Pflegefamilie untergebracht, die Methoden dort gefielen der Hilfsorganistaion allerdings nicht.
Ich möchte mich dazu gar nicht weiter äußern, sondern habe mir in diesem Zuge Gedanken gemacht, über meine eigene Art der Arbeit:

Mirza und die Leine – oder: der traumatisierte Straßenhund

Beschwichtigungssignale

  • sich kratzen
  • Bögen laufen, langsam gehen
  • Spielposition
  • Kopf abwenden, sich ganz abwenden
  • Schnüffeln
  • Gähnen
  • Wegsehen
  • Über die Nase lecken
  • Sich schütteln
  • Pfote heben
  • Hinsetzen / Hinlegen (auf den Rücken drehen)
  • Schwanz wedeln
  • Einfrieren / „Schockstarre“

Ursachen dafür finden wir viele: Artgenossen, Kinder, Straßenverkehr, Besucher….

Natürlich kann jede einzelne dieser Verhaltensweisen auch auf etwas anderes hin deuten: gähnen = müde, zum Beispiel.
Es ist wichtig, die Anzeichen genau zu beobachten und im Zusammenhang mit der Situation zu sehen und auch, ob mehrer Anzeichen auftreten, gleichzeitig oder nacheinander. Also ob sich die Situation zuspitzt.
Beispiel: schnüffeln – gähnen – kratzen – Pfote heben – sich hinlegen…
Ebenso wichtig ist es, den ganzen Hund zu beobachten: er wedelt mit dem Schwanz, hat aber die Ohren angelegt, den Kopf gesenkt und geht sehr langsam….

Privatsphäre

Ich halte es für überaus wichtig, dass der Hund zu Beginn einen Schutzraum hat, in den er sich flüchten kann und wo er zuerst auch in Ruhe gelassen wird.
Mit der Zeit kann ich mehr und mehr in diesen Raum eindringen. Aber um Vertrauen aufzubauen, braucht der Hund zu Beginn eine Rückzugsmöglichkeit.
So kann er lernen, dass er ein Mitspracherecht, eine eigene Stimme hat.

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

PTBS gibt es auch beim Hund. Warum auch nicht? Sie sind Säugetiere wie wir.
Auslöser kann vieles sein: ein Unfall, Aussetzten, Gewalt, Traumata…

Nun haben wir hier eine Hündin, geboren ca 2016, die auf der Straße in Rumänien lebte und von den dogcatchern 2017 eingefangen wurde und seit dem im Tierheim lebte.

Dogcatcher fangen Hunde mit Schlingen ein. Diese Hündin hatte also eine Schlinge um den Hals, die sich immer enger zu zog. Sie bekam keine Luft mehr, konnte nicht fliehen, hatte erhebliche Schmerzen (oft werden die Hunde an der Schlinge hoch gehoben).

Mirza hat um ihr Leben gekämpft und hatte Todesangst.

Das Problem ist, dieser Kampf hinterlässt nicht nur Spuren in ihrem Bewusstsein, auch in ihrem Körper. Unsere Zellen haben ein ganz eigenes Gedächtnis. Unser Gewebe speichert Traumata unabhängig von unserem Gehirn ab.

Wenn ich Mirza nun zu der Leine dränge, wird sie sich irgendwann ergeben. Aber das ist nicht der Sinn meiner Arbeit. Ich wünsche mir einen Hund, der selbstbewusst und stabil ist und mir vertraut.
Die Leine liegt an der immer gleichen Wunde: sie ist gefangen und hat Schmerzen.
Auch wenn ihr die Leine heute keine Schmerzen mehr zufügt, so bleibt die Angst, das Traumata.

Hier gibt es mehrere Ansätze: die Cranio Sacrale Therapie aus der Osteopathie. Sie kann Schädel, Nacken, Rückenmark und Nerven behandeln und den Zellen helfen zu heilen.
Bänder, Sehnen, Muskeln, Faszien, Nerven – sie alle sind betroffen.
Hier wurden mit Sicherheit durch die dogcatcher erhebliche Schäden angerichtet.
Auch Faszientherapie für den ganzen Körper ist sehr sinnvoll, denn oft verlagern sich Probleme.

Die Zellen müssen genau so behandelt und geheilt werden, wie das Bewusstsein.

Die Methode nach Linda Tellington – Jones: TTouch und Körperbandagen. Die Zellen werden stimuliert, aktiviert und können Traumata los lassen um Neues zu erlernen. Sie stärken das Körperempfinden des Tieres, festigen sein Selbstbewusstsein und die Koordination. Und sie stärken die Bindung zum Menschen!

Rhythmus – Routine – Rotation

Die drei R finden wir im Verhaltenstraining wie auch in der Therapie.
Egal ob es um Fütterungszeiten geht oder Massage-Therapie. Sie geben dem Tier einen stabilen Rahmen, in dem es sich sicher fühlen kann und den Kopf frei bekommt um lernen zu können.

Aber all das braucht Zeit und muss sich am Rhythmus des Tieres orientieren.

Wenn ich ihre Stresssignale ignoriere, laufe ich Gefahr, keinen Fortschritt zu erreichen, weil sie nicht mehr in der Lage ist, etwas auf zu nehmen, mir zu zuhören. Das kann ihr Traumata im schlimmsten Fall noch verstärken.

Wir müssen zu erst die Blockaden in Kopf und Körper lösen, um wieder Neues lernen zu können. Die Festplatte muss gelöscht werden, um neu programmiert zu werden.

Ich arbeite seit fünf Jahren mit traumatisierten Hunden.
Und da geht es nicht um einen Wettkampf. Mir ist es völlig egal, ob es 6 Monate dauert oder ein Jahr. Der kleinste Fortschritt zählt! Auch wenn er für andere oft nicht sichtbar erscheint. (Das gleiche gilt für meine Arbeit mit Eragon und Loulette 😉 )

Wenn ich Mirza die Leine zeige, oder meine Hand, dreht sie sich ab, wendet den Blick ab und friert ein. Sie zeigt ganz klare Anzeichen von Stress.
Ich gehe zu Beginn nur so weit, wie sie es gerade noch aushalten kann.
Die Leine lege ich zur Seite und arbeite nur mit meiner Hand und etwas positivem: Futter. Sie frisst mir aus der Hand, und das ist ein sehr guter Anfang.

Für mich steht hier Gehorsam nicht an oberster Stelle, sondern Vertrauen aufzubauen und einen Hund zu unterstützen, der in der Lage ist, mit mir zu arbeiten.

Und deswegen wird es in nächster Zukunft keine Videos geben, in dem Mirza an der Leine bei Fuß läuft.

 

 
 

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